
Die Altstadt als Bühne
„Haldagreteli“ - eine ungewöhnliche Frau
In der Theater-Stadtführung durch Bludenz erleben die Teilnehmer:innen die Geschichte der Stadt aus einer ganz besonderen Perspektive. Marlies Bahro schlüpft dabei in die Rollen historischer Persönlichkeiten, darunter die Bludenzerin Grete Gulbransson, auch bekannt als „Haldagreteli“. Im Gespräch erzählt Marlies Bahro von der beeindruckenden Lebensgeschichte der Schriftstellerin und Heimatdichterin, die als außergewöhnliche Frau ihrer Zeit galt und mit ihren Tagebuchaufzeichnungen einen wertvollen literarischen Nachlass hinterließ. Aber auch ihre eigene Leidenschaft für das Theater und die Schauspielerei kommt zur Sprache – eine Kunst, die für Marlies Bahro immer wieder neue Entdeckungen und Perspektiven bietet.
Bei der Theater-Stadtführung durch die Bludenzer Altstadt begegnen die Teilnehmer:innen historischen Persönlichkeiten aus der Stadtgeschichte. Wen verkörperst Du?
Ich spiele zwei Rollen: die der Grete Gulbransson sowie eine Aussätzige.
Wer war Grete Gulbransson?
Grete, also eigentlich Margarethe, wurde 1882 als Tochter des Malers Jakob Jely und seiner Frau Wanda, der gebürtigen Baronin von Pöllnitz, in Bludenz geboren. Sie wuchs in der so genannten Halde auf und wurde daher „Haldagreteli“ genannt. Später erlangte sie Bekanntheit als Schriftstellerin und Heimatdichterin.
War das ein ungewöhnlicher Werdegang für eine Frau in der damaligen Zeit?
Ja, ich denke schon. Durch ihr Elternhaus kam sie bereits als Kind mit Kultur und Kunst in Berührung und beschäftigte sich schon in der Jugend mit Literatur, speziell mit Lyrik. Gretes Eltern sind recht früh verstorben. Nach deren Tod ließ sich die damals 19-Jährige in München nieder, wo sie schließlich Kontakte zum legendären Simplicissismus-Kreis um den Verleger und Kulturmäzen Albert Lange knüpfte. In der illustren Runde befanden sich auch literarische Größen wie Hermann Hesse und Thomas Mann. Im Kreise dieser Künstler und Schriftsteller lernte sie dann auch ihren späteren Ehemann, den norwegischen Maler und Karikaturisten Olaf Gulbrannson, kennen und lieben.
Ihr Lebensweg führt Grete aber wieder zurück nach Vorarlberg?
Genau. In den 1920er- Jahren vermietete sie das Haus in München und der Lebensmittelpunkt der Gulbrannsons verlagerte sich nach Vorarlberg, in Gretes Heimat.
Was ist der literarische Nachlass der Grete Gulbransson?
Bekanntheit erlangte vor allem die Familiensaga „Geliebte Schatten“. Aber für die Nachwelt besonders interessant sind Gretes Tagebuchaufzeichnungen. Sie schreibt darin nicht nur über sich selbst, sondern gibt ausführliche Einblicke in den Alltag von damals sowie in das kulturelle Geschehen einerseits in Vorarlberg und andererseits international wie in München, Wien, Berlin, England oder Norwegen. Grete bezeichnete ihre Tagebücher, insgesamt sind es über 200 Bände, auch als ihr Lebenswerk.
Die Figur der Grete Gulbransson gibt den Teilnehmer:innen der Theaterführung auch etwas mit auf den Weg...
Ja, sie erhalten ein von ihr verfasstes Gedicht, das sie an die Natur Vorarlbergs und gleichzeitig auch an einen besonderen Menschen erinnern soll. Gedichte lassen sich auf viele Weise interpretieren und jede:r wird etwas anderes zwischen den Zeilen finden.
Du stehst seit vielen Jahren auf der Bühne, führst auch selbst Regie und bist Obfrau der Theatergruppe Ludesch. Was reizt Dich an der Schauspielerei?
Die Möglichkeit, in viele verschiedene Rollen zu schlüpfen und dadurch vielleicht auch neue Seiten von sich selbst zu entdecken, finde ich immer wieder faszinierend und spannend. Man erforscht sozusagen die Facetten seiner eigenen Persönlichkeit und wächst gleichzeitig über sich hinaus.